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Zom­bie­zel­len im Oze­an: Vi­ren hal­ten die häu­figs­ten Mee­res­bak­te­ri­en in Schach

Zellen in verschiedenen Färbungen, gelb blau rot
Unter dem Mikroskop erkannten die Wissenschaftler SAR11-Zombie-Zellen daran, dass sie keine Ribosomen haben. Ein Beispiel für den Vergleich einer lebenden, infizierten SAR11-Zelle mit einer infizierten Zombie-Zelle: Blau zeigt die bakteriellen Gene, gelb die Ribosomen und lila die Phagengene. Die lebende Zelle (obere Bilder) zeigt alle drei Farben, während der Zombie-Zelle (untere Bilder) das gelbe Ribosomensignal fehlt. In der letzten Spalte auf der rechten Seite werden diese Farben zusammengeführt, wodurch sich die beiden Zelltypen deutlich voneinander unterscheiden lassen. © Jan Brüwer/ Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie.

Mikroorganismen steuern die für das Leben in den Ozeanen wichtigen Stoff- und Energiekreisläufe. Dazu gehört auch eine Gruppe von Bakterien namens SAR11, die etwa ein Drittel aller Bakterien im Oberflächenwasser der Meere stellen. Eine Studie von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen zeigt nun, dass zeitweise fast 20% der SAR11-Zellen von Viren befallen sind, was ihre Gesamtzahl deutlich verringert. Die Viren verwandeln die eigentlich gut gedeihenden Bakterien manchmal sogar in Zombies. Diese Zombiezellen wurden hier erstmals beobachtet und sind in den Ozeanen weit verbreitet.

Das Meer rund um die In­sel Hel­go­land ist ein idea­ler Ort, um die Früh­lings­blü­ten von Al­gen im Oze­an zu er­for­schen. Schon seit vie­len Jah­ren wid­men sich For­schen­de des Max-Planck-In­sti­tuts für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie in Bre­men die­sem The­ma. Dabei bemerkten sie, dass sich eine Gruppe von Bakterien namens SAR11 während dieser Blüten besonders schnell vermehrt.Trotz­dem nahm ihre Zell­zahl ab, um etwa 90% in­ner­halb von fünf Ta­gen. Ver­mut­lich wur­den die Zel­len von Fress­fein­den oder durch In­fek­tio­nen mit Vi­ren de­zi­miert. Nun ha­ben die Max-Planck-For­schen­den die­ses Phä­no­men noch­mal ganz ge­nau un­ter die Lupe ge­nom­men.

Auf der Su­che nach den Vi­ren von SAR11

“Wir woll­ten her­aus­fin­den, ob die ge­rin­gen Zell­zah­len von SAR11 durch Pha­gen ver­ur­sacht wur­den – das sind Vi­ren, die ge­zielt Bak­te­ri­en in­fi­zie­ren”, sagt Jan Brüwer, der die Stu­die im Rah­men sei­ner Dok­tor­ar­beit durch­ge­führt hat. „Die Be­ant­wor­tung die­ser schein­bar ein­fa­chen Fra­ge war me­tho­disch sehr an­spruchs­voll“.

Wie funk­tio­niert eine In­fek­ti­on mit Pha­gen? Pha­gen in­fi­zie­ren Bak­te­ri­en, in­dem sie ih­nen ihr ei­ge­nes Gen­ma­te­ri­al ein­schleu­sen. Dort wird es ver­viel­fäl­tigt und nutzt die bak­te­ri­el­len Ri­bo­so­me, um die selbst be­nö­tig­ten Pro­te­ine her­zu­stel­len. Die Bre­mer For­schen­den nut­zen eine Tech­no­lo­gie, mit der sie das Gen­ma­te­ri­al der Pha­gen in den Bak­te­ri­en „ver­fol­gen“ konn­ten. “Wir kön­nen die Pha­gen­ge­ne an­fär­ben und sie dann un­ter dem Mi­kro­skop se­hen. Da wir gleich­zei­tig auch die Gene von SAR11 fär­ben kön­nen, kön­nen wir pha­gen­in­fi­zier­te Zel­len er­ken­nen“, er­klärt Brüwer.

Das klingt ein­fach, ist es aber nicht. Denn die ge­rin­ge Hel­lig­keit und Grö­ße der Pha­gen­ge­ne macht es für die For­schen­den sehr schwer, sie zu ent­de­cken. Den­noch konn­ten sie Tau­sen­de von Bil­dern aus dem Mi­kro­skop er­folg­reich ana­ly­sie­ren, und ka­men so zu ei­ni­gen span­nen­den Er­kennt­nis­sen.

“Wir sa­hen, dass die SAR11 Bak­te­ri­en ei­nem mas­si­ven An­griff durch Pha­gen aus­ge­setzt sind”, be­rich­tet Brüwer. “In Pha­sen schenl­len Wachs­tums, wie bei­spiels­wei­se wäh­rend Früh­jahrs­blü­ten, sind bei­na­he 20% der Zel­len in­fi­ziert. Das er­klärt, war­um wir so we­ni­ge Zel­len fin­den. Pha­gen sind also das feh­len­de Glied, das die­ses Rät­sel auf­klärt!”

Zom­bie-Zel­len: Ein glo­ba­les Phä­no­men

Die Bil­der ent­hüll­ten zur Über­ra­schung der For­schen­den aber noch mehr. „Wir ent­deck­ten, dass ei­ni­ge der pha­gen­in­fi­zier­ten SAR11-Zel­len kei­ne Ri­bo­so­men mehr ent­hiel­ten. Die­se Zel­len be­fin­den sich wahr­schein­lich in ei­nem Über­g­angs­zu­stand zwi­schen Le­ben und Tod, wes­halb wir sie 'Zom­bie-Zel­len' ge­nannt ha­ben“, so Brüwer.

Zom­bie-Zel­len sind ein bis­her un­be­kann­tes Phä­no­men, das die For­schen­den nicht nur in La­bor­kul­tu­ren von SAR11 son­dern auch in Pro­ben, die vor Hel­go­land ge­sam­melt wor­den wa­ren, fan­den. Zu­dem ana­ly­sier­ten sie auch Pro­ben aus dem At­lan­tik, dem Süd­po­lar­meer und dem Pa­zi­fik, und auch dort fan­den sie Zom­bie-Zel­len. Die­se Zom­bies scheint es also welt­weit zu ge­ben.

“In un­se­rer Stu­die sind bis zu 10% al­ler Zel­len im Meer Zom­bie-Zel­len. Die welt­wei­te Ver­brei­tung der Zom­bies er­wei­tert un­ser Ver­ständ­nis des vi­ra­len In­fek­ti­ons­zy­klus“, be­tont Brüwer. „Wir ver­mu­ten, dass in Zom­bie-Zel­len die in den Ri­bo­so­men ent­hal­te­nen Nu­kle­in­säu­ren ab­ge­baut und wie­der­ver­wer­tet wer­den, um neue Pha­gen-DNA her­zu­stel­len.“

Brüwer und sei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen ver­mu­ten, dass nicht nur SAR11-Bak­te­ri­en, son­dern auch an­de­re Bak­te­ri­en in Zom­bies ver­wan­delt wer­den kön­nen. Da­her wol­len sie die Ver­tei­lung von Zom­bie-Zel­len und ihre Rol­le für die Vi­ren nun wei­ter un­ter­su­chen.

„Un­se­re Er­geb­nis­se be­wei­sen, dass die SAR11-Po­pu­la­ti­on, ob­wohl sie so schnell wächst, mas­siv von Pha­gen kon­trol­liert und re­gu­liert wird“, sagt Brüwer. „SAR11 ist sehr wich­tig für die glo­ba­len bio­geo­che­mi­schen Kreis­läu­fe, ein­schließ­lich des Koh­len­stoff­kreis­laufs, da­her muss ihre Rol­le im Oze­an neu de­fi­niert wer­den. Un­se­re Ar­beit un­ter­streicht die Rol­le der Pha­gen und die Be­deu­tung der mi­kro­bi­el­len In­ter­ak­tio­nen im Le­bens­raum Meer“.

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie


Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung:

Brüwer, J.D., Sid­hu, C., Zhao, Y. Eich, A., Röss­ler, L., Orel­la­na, L.H., Fuchs, B.M (2024). Glo­bal­ly oc­cur­ring pel­agi­pha­ge in­fec­tions crea­te ri­bo­so­me-de­pri­ved cells, Nat Com­mun (02 May 2024). DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-48172-w